Werfen wir einen Blick in die Geschichte: In der Nazizeit gab es einen Elternratgeber mit dem Titel "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind". Die Autorin, Johanna Harrer, war eine Lungenfachärztin und glühende Hitlerverehrerin, gab in diesem Ratgeber Tipps für Schwangerschaft, Wochenbett und die Zeit mit Kind. Der Grundtenor des Buches ist das Abhärten von Kindern und das Erziehen von Soldaten. Kinder dürfen nicht verwöhnt oder verweichlicht werden. Sie haben in ihrem Bettchen zu liegen, werden alle vier Stunden gestillt und ansonsten nur zum Wickeln und Baden beachtet. Zuviel Aufmerksamkeit verwöhnt das Kind. Kommt dir das bekannt vor? Richtig, die Angst vor dem Verwöhnen, hält sich bis heute. In diesem Buch gibt es auch einen großen Abschnitt zum Thema "Sauberkeitserziehung". Sauberkeitserziehung ist ein ähnlich unsympathisches Wort wie "trocken werden" und "sauber werden".
Johanna Harrer plädiert für ein rigides Töpfchentraining. Das Kind wird auf den Topf gesetzt, wann immer die Eltern wollen und hat dann auszuscheiden. Das Kind soll lernen, dass es dann auszuscheiden hat, wann die Eltern wollen und nicht dann, wann es muss. Da das Kind sich nach den Eltern zu richten hat und nicht umgekehrt.
Das klingt wenig sinnvoll und es ist auch nicht sinnvoll. Im Gegenteil, es ist sogar schädlich. Da der Ratgeber nach dem 2. Weltkrieg unter dem entschärften Titel "Die Mutter und ihr erstes Kind" und etwas bereinigt von Naziparolen weiter aufgelegt wurde, wurden diese Methoden bis weit in die 80er Jahre praktiziert. Kinder wurden einem rigiden Töpfchentraining unterzogen.
Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts erschien dann ein weiterer Erziehungsratgeber, der bis heute verkauft wird. "Babyjahre" von Remo Largo. Remo Largo behandelt in diesem Buch viele Themen, die die Baby- und Kleinkindzeit betreffen, z.B. Schlaf, Essen, Entwicklung und eben auch den Abschied von der Windel. Remo Largo hatte eine kleine Untersuchung mit wenigen Kindern gemacht, die ohne weiteres Zutun windelfrei wurden. Daraus leitete er ganz allgemein ab, dass ALLE Kinder ohne jedes Zutun windelfrei werden würden. Kinder würden irgendwann Zeichen senden, wenn sie bereit seien für die Windelfreiheit. Eltern dürften Kinder nicht überfordern und auch nicht ihre Zeichen übersehen. Doch konkreter wird er dabei nicht. Es wird nicht erklärt, welche Zeichen Kinder senden oder wie diese Bereitschaft erkennbar sein soll. Zudem stellt er die Behauptung auf, dass die Blasen- und Darmkontrolle nicht beschleunigt werden könne, was mittlerweile widerlegt ist.
Aus diesen Aussagen hat sich eine Grundhaltung entwickelt, die kurz zusammengefasst so aussieht: Wir bringen unsere Kinder in die Windel und danach tun wir nichts mehr außer zu warten. Wir warten auf die Hirnreife, die es dem Kind ermöglicht Signale zu senden, dass es windelfrei werden möchte und das macht das Kind idealerweise dann, wenn endlich die Blasen- und Darmkontrolle vorhanden sind, die aber angeblich frühestens mit 2 Jahren erreicht werden kann. Man dürfe auf keinen Fall etwas tun, um einen Töpfchengang des Kindes zu initiieren, weil das schwer schädlich für das Kind sei.
Mittlerweile sind diese Sätze in das Fachjargon von Fachpersonen eingangen und junge Eltern glauben sie.
Parallel dazu kann man immer häufiger lesen von Kindern, die in der Grundschule noch Windel tragen oder die mit acht oder zehn Jahren auch nachts noch Windeln benötigen. Immer begleitet von Rechtfertigungen in der Art von "Jedes Kind hat sein Tempo" oder "Völlig normal, Kinder dürfen bis zu x Jahren Windel tragen" (dabei wird x in den letzten Jahren immer höher) oder auch "Für mich ist es okay, wenn XY noch eine Windel braucht".
Puuuuhhh, da weiß man schon fast nicht mehr, wo anfangen...
Kinder kommen auf die Welt mit einem angeborenen Sauberkeitsbedürfnis auf die Welt. Bei uns wissen einerseits viele Menschen nicht mehr um dieses Sauberkeitsbedürfnis und ignorieren es unbewusst oder es herrschen andererseits viele Vorurteile, wenn es um das Thema abhalten und windelfrei. Wennn Kinder mobil werden, wollen sie häufig nicht mehr gewickelt werden. Oft findet dies einen Höhepunkt in der Autonomiephase. Doch es gibt nicht die logische Konsequenz Kindern dann auf dem Weg in die Windelfreiheit zu helfen. Vielmehr wird alles dafür getan, dass Kinder sich weiter wickeln lassen. Ablenken mit speziellem Spielzeug, Handy oder sonstigem.
Irgendwie ist es absurd: Kinder signalisieren monatelang, dass sie nicht in die Windel machen möchten oder die Windel loswerden wollen und dann wird Jahre später auf eine Hirnreife und die Signale des Kindes gewartet, das inzwischen verinnerlicht hat, dass die Windel und seine Ausscheidungen an seinen Körper gehören. Das kann so nicht funktionieren, da es Verantwortlichkeiten verschiebt.
Ich habe in dem Blogpost "Der Mythos von der Hirnreife" erklärt, welche Auswirkungen Wegwerfwindeln haben. Unsere Kinder kommen aber nicht mit einem biologischen Programm für Wegwerfwindeln auf die Welt, sondern mit einem biologischen Programm um abgehalten zu werden. Wir als Erwachsene können nicht zunächst alles dafür tun, dass das biologische Programm unserer Kinder im Gehirn überschrieben wird und dann so tun, als hätten wir nichts damit zu tun und es wäre jetzt die Verantwortung des Kindes aus der Windel zu kommen.
Es ist völlig legitim Wegwerfwindeln zu benutzen. ABER, dann muss uns auch bewusst sein, was diese Wegwerfwindeln bewirken und dass wir in der Verantwortung sind, dass unsere Kinder diese wieder los werden. Es mag ja so sein, dass sich Eltern nicht daran stören auch ihrem acht oder zehnjährigen Kind nachts noch Windeln anzuziehen. Doch, was dabei völlig ausgeblendet wird, ist das Bedürfnis des Kindes und was es mit einem Kind macht, wenn es mit acht oder zehn immer noch eine Windel braucht und bereits lange begriffen hat, dass das alle seine Freund*innen nicht mehr brauchen.
Töpfchentraining schadet Kindern, Nichtstun schadet Kinder aber ganz genauso!
Möchtest du nicht einfach auf undefinierte Zeichen oder eine Hirnreife warten? Möchtest du dein Kind aktiv unterstützen und es auf dem Weg in die Windelfreiheit begleiten und weißt nicht genau wie?
Dann schaue gerne auf meine Angebote "Abschied von der Windel" und "Begleitung beim Windelabschied". Gemeinsam helfen wir deinem Kind bedürfnisorientiert den Weg in die Windelfreiheit zu meistern.